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Vera Hofmann

Das JAHR DER FRAU_EN transponieren – Editorial

Das JAHR DER FRAU_EN war eine ganzjährige (queer-)feministische Intervention in das Schwule Museum im Jahr 2018, initiiert und geleitet von Birgit Bosold und mir, Vera Hofmann. Das Projekt adressierte Sexismus und Misogynie in Kunst und Kultur, in der LGBTQIA+-Szene und insbesondere im Schwulen Museum. Es zielte darauf ab, zukünftig die Teilhabe und Selbst-Re-/Präsentation von allen Teilen der LGBTQIA+-Communitys im Schwulen Museum selbstverständlich zu machen. Dazu galt es die bis dahin praktizierten Ausschlussmechanismen zu transformieren. 

2018 war das erfolgreichste Jahr in der über 30-jährigen Geschichte des Museums und das bis dato kontroverseste. Niemals wurde so intensiv im Haus verhandelt und über das Museum debattiert. Sowohl Erfolg als auch Debatte geben Anlass, das Projekt sorgfältig zu archivieren und zu kontextualisieren. 

Ab Anfang 2020 sichtete und sortierte ich das Material. Ich erarbeitete verschiedene Konzepte zum Umgang mit seiner Vielschichtigkeit und dazu, wie es sich von einem bestimmten zeitlichen und physischen Raum in andere Formen transponieren ließe. Ein derartig umfangreiches und konfliktives Projekt zu vermitteln ist komplex. Es galt die Vielstimmigkeit der aktivistischen, künstlerischen und theoretischen Positionen zu würdigen und die dahinterstehende strategische, administrative und affektive Arbeit sichtbar zu machen. Ein solcher Versuch bleibt immer unvollständig und eine Interpretation. Mein Wunsch nach Radikalität und Präzision stand in einem Spannungsfeld mit den Arbeitsbedingungen während der Pandemie und der Co-Herausgeber*innenschaft in institutionellen Strukturen. Ich habe mich schließlich dafür entschieden, sowohl ein detailliertes Archiv zusammenzustellen als auch ein Diskursformat anzubieten, das erweitert und fortgeschrieben werden kann.

Gegenerzählungen, widerständige Archive und alternative Erinnerungsformen marginalisierten Wissens stellen sich Hegemonien und Normativitäten entgegen. Trotz der Risiken, die mit erhöhter Sichtbarkeit einhergehen, brauchen LGBTQIA+-Communitys Aufzeichnungen ihrer Aktivitäten – ein Kernanliegen des Schwulen Museums und seines Archivs. Zugleich müssen die in die Sammlungstätigkeit eingeschriebenen Politiken immer wieder neu befragt und verkompliziert werden. Dafür nahm das JAHR DER FRAU_EN als rund 14 Monate andauerndes Projekt die strukturelle Ebene in den Fokus. Um eine konsequente Aufarbeitung und Transformation von Leerstellen und Ausschlussmechanismen, inklusive der jeweils eigenen, verstetigen zu können, ist neben der grundsätzlichen Bereitschaft kontinuierliches Engagement gefragt. Es braucht Entschlossenheit und Sensibilität, um vertrauensvolle intersektionale Bündnisse aufzubauen und kollektive Praktiken des Verlernens und der Fürsorge einzuüben. Dafür müssen fortlaufend Ressourcen beschafft und vorhandene umverteilt werden. 

Im Nachgang zum JAHR DER FRAU_EN durfte ich mit vielen Menschen über Aspekte daraus sprechen und immer wieder meldeten sich Menschen, die beitragen und mitarbeiten konnten und wollten. Dafür bin ich dankbar. Endlich können wir nun das vollständige Online-Archiv zum JAHR DER FRAU_EN und ein Magazin mit aktuell 39 Beiträgen und mit Platz für Ergänzungen präsentieren:

Das Magazin bildet neben dem Archiv den zweiten Teil der Plattform yearofthewomen.net. Es enthält dreierlei: erstens ausgewähltes und neu aufbereitetes Material aus dem Programm in Form von Film- und Videoarbeiten, audiovisuelle Aufzeichnungen von Gesprächen und Vorlesungen sowie verschriftlichte Vorträge; zweitens künstlerische und diskursive Neuproduktionen, die thematisch an das Jahr anschließen; und drittens Reflexionen auf die konkreten Geschehnisse und das Programm in Form von Interviews und Essays. Neben der Online-Version auf der Website mit einzeln abrufbaren Beiträgen kann eine jeweils aktualisierte Sammlung aller Beiträge als Gesamtdokument mit Klick auf den grünen Button oben im Magazin heruntergeladen werden. Die nichtkommerzielle Verbreitung der Beiträge ist explizit erwünscht, Hinweise zur Nutzung gibt es hier. Die Texte sind entweder auf Deutsch oder auf Englisch, einige (bisher wenige) liegen in beiden Sprachen vor. Ein Hinweis zu unserem Umgang mit gendersensibler Sprache findet sich hier im Anschluss.

Als Einführung in das JAHR DER FRAU_EN stehen bereits publizierte Texte von Birgit Bosold (seit 2006 Vorständin im SMU) und mir, Vera Hofmann (Künstler*in und Vorständ*in im SMU von 2016 bis 2020), zur Verfügung. Als Initiator*innen und Kurator*innen des Gesamtprogramms reflektieren wir im Band Radicalizing Care – Feminist and Queer Activism in Curating (Sternberg Press, 2021) unser Projekt. Detaillierter gehen wir auf unsere unterschiedlichen kuratorischen Herangehensweisen und Einschätzungen der Ausgangslage im Schwulen Museum im zweisprachig vorliegenden Gespräch in der Reihe kuratieren der Arthur Boskamp-Stiftung (2021) ein. 2018 veröffentlichten wir bereits Text und Visuals im Queer Curating Issue von OnCurating.org. Wer sich einen schnellen Überblick wünscht, schaut in die Fragen & Antworten zum JAHR DER FRAU_EN. Ein weiterer einführender Text ist die Rede, die Emilia Roig, Politologin, Autorin und Gründerin des Center for Intersectional Justice, zur Finissage des JAHR DER FRAU_EN im Februar 2019 hielt. Darin beantwortet sie unter anderem die Frage, ob in Zeiten von Genderfluidität ein Programm, das sich auf die Subjektposition „Frau“ bezieht, überhaupt noch nötig ist und reflektiert dies mit einem intersektionalem Blick auf die verschiedenen Un-/Sichtbarkeiten innerhalb der LGBTQIA+-Communitys und in Kunst und Kultur.

Die Eröffnungsreden, die zu unterschiedlichen Projekten gehalten wurden – zur 12 Monde Filmlounge, zur Dyke Bar: SPIRITS und zu LESBISCHES SEHEN, geben die spezifischen Intentionen der jeweiligen Kurator*innen wieder und transportieren als Momentaufnahmen die Atmosphäre vor Ort. Weitere Stimmen von Kurator*innen geben Einblick in die Programme. Der Kurator, Filmemacher und Gründer des Aks International Minorities Film Festivals Saadat Munir stellt das Festival und die Kuration des 10. Programms der 12 Monde mit begleitender Ausstellung vor. Die Künstlerin und Autorin A. L. Steiner, die das letzte Mondprogramm des Jahres kuratierte, nimmt uns mit auf einen knackigen Ritt durch die aktuellen Bedingungen, unter denen wir leben, Kunst machen und uns versuchen zu verbinden. Die Künstlerin Juliette Lizotte fügt dem Beitrag ihre spezielle gestalterische Handschrift hinzu. In einem ausführlichen Interview beschreibt Birga Meyer, Co-Kuratorin von PROUDLY PERVERTED und mittlerweile neues Vorstandsmitglied, das communityzentrierte Vorgehen dieser Ausstellung und wie sie den Öffnungsprozess des SMU erlebt. Intersex-Aktivist*in Luan Pertl geht den Veränderungsprozessen des SMU aus Sicht einer langjährigen Begleiter*in nach. Luan arbeitet im SMU als Guide, war im JAHR DER FRAU_EN in den Beginn der Kuration von PROUDLY PERVERTED eingebunden und co-kuratierte die von Oktober 2021 bis April 2022 laufende Ausstellung Mercury Rising – Inter* Hermstory[ies] Now and Then.

Mit den für das Magazin eingeladenen internationalen Kurator*innen und Künstler*innen Chris E Vargas, Dot Zhihan Jia, Helena Reckitt, Jamila Prowse und Taey Iohe tauschen sich Kuratorin Sylvia Sadzinsky und ich in einem kollektiven Online-Schreibprozess zu kuratorischen und interventionistischen Praktiken und Fragen aus und darüber, welche Fürsorge- und communitybildenden Praktiken wir uns als Künstler*innen und Kurator*innen wünschen. 

Eine Reihe von Videodokumentationen aus dem 12-Monde-Rahmenprogramm lassen den kollektiven Charakter des Jahres wieder aufleben: Filmemacher* Lasse Långström diskutiert an seinem Film Folkbildningsterror (3. Mond) queerfeministische kollektive Praktiken des Filmemachens mit der Anthropologin und Journalistin Atlanta Ina Beyer. Die Filmemacherin und Journalistin Marit Östberg teilt die wichtigsten Erkenntnisse aus ihrer langjährigen Filmpraxis und ergründet zusammen mit den Filmemacherinnen, Performerinnen und Sexarbeiterinnen Lina Bembe, Candy Flip und Paulita Pappel die Frage, wie Safer Spaces im feministischen Porno hergestellt werden können (9. Mond). Mit der Historikerin, Autorin und Aktivistin Katharina Oguntoye, der Regisseurin und Autorin Barbara Teufel und der Journalistin und Aktivistin Marinka Körzendörfer sprach ich über die politischen Anliegen und kollektiven Praktiken der Zweiten feministischen Welle im Ost- und Westdeutschland der 1980er und -90er Jahre, von denen die im 8. Mond gezeigten Filme Zeugnis geben. Farzada Faarkhooi, Kuratorin des TransFormations – Trans* Film Festival Berlin und 2018 auch Mitglied im Vorstand des SMU, moderierte eine Diskussion mit der Aktivistin und Mitgründerin des Aks Festivals Neeli Rana, ihrem Kollegen Saadat Munir und der Anthropologin und Aktivistin Mehlab Jameel über ihre aktivistischen_künstlerischen Strategien. Zu hören gibt es zudem einen Ausschnitt aus der Lesung der Schriftstellerin Stephanie Bart aus ihrem Buchmanuskript über Gudrun Ensslin. – Bitte seht uns nach, wenn die Aufnahmequalitäten der Videos nicht optimal ist, es gab selten professionelle Technik. 

Weitere kleine Videoausschnitte aus dem Programm finden sich über das Archiv verstreut. In Würdigung zweier in der Zwischenzeit verstorbener Community-Mitglieder, der Filmemacherin Barbara Hammer und der Illustratorin und Filmemacherin Heidi Kull, habe ich zwei Kurzbeiträge von ihnen von 2018 in das Magazin aufgenommen. Erinnern möchte ich auch an die erst kürzlich verstorbenen Aktivistinnen Bettina Dziggel und Ika Hügel-Marshall, die ebenfalls im Filmprogramm vertreten waren, und die 2019 verstorbene Künstlerin Sarah Schumann, deren Werke in der Ausstellung LESBISCHES SEHEN gezeigt wurden.

Ein wichtiges Anliegen im JAHR DER FRAU_EN war es, die queere Erinnerungspolitik kritisch zu befragen sowie den intergenerationellen Dialog zwischen jüngeren, queer-feministischen Aktivist*innen und Vertrete*rinnen der feministischen Positionen der 1970er bis 1990er Jahre anzuregen. In ihrem im Rahmen des Symposiums zur Geschichte der Frauen*bewegung gehaltenen und nun verschriftlichten Vortrag problematisiert die Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Gisela Notz die oft verkannte Relevanz der sozialistischen Arbeiterinnen-Bewegung in den schließlich erfolgreichen Kämpfen um das Frauenwahlrecht. Der beim gleichen Symposium gehaltene Vortrag von Historiker*in Lorenz Weinberg zu den Feminist Sex Wars in der deutschen Lesbenbewegung widmet sich den Kämpfen um Sexpositivität viele Jahrzehnte später und liefert Erkenntnisse, die für die Einordnung der aktuellen TERF Wars hilfreich sind. Begleitet wird der Text von der Fotoserie A Cadillac Please! And a Chauffeur! der Fotografin und Repräsentantin des sexpositiven Feminismus in Deutschland Krista Beinstein aus dem Jahr 1995. Für die nachfolgende Generation von Künstler*innen und Aktivist*innen wie Lena Rosa Händle stellt sich die Frage nach den Modi queerfeministischer Erinnerung, insbesondere in einer Zeit der Queer- und Transfeindlichkeit und sich wieder verbreitender rechter Ideologien, selbst in den LGBTQIA+-Communitys. Die Kuratorin und Kunsttheoretikerin Barbara Mahlknecht bespricht Händles Arbeit Pelze (2015) aus der Ausstellung LESBISCHES SEHEN und deren Kooperation mit der Künstlerin Roswitha Baumeister.

Orte der kollektiven Selbstorganisation, für aktivistische, experimentelle und sexpositive Praxen sind für die queeren Communitys enorm bedeutsam. Ein solcher Ort war Pelze Multimedia für lesbische Frauen* im Berlin der 1980ern und -90er Jahre. Viele Ausstellungen und Veranstaltungen im JAHR DER FRAU_EN im Schwulen Museum, auch ein selbstorganisierter und aktivistischer Raum, drehten sich um Treffpunkte und Orte, die entweder ermöglichen oder verunmöglicht werden: z.B. bietet das Aks International Minorities Film Festival in verschiedenen Städten Pakistans Raum und damit Sicherheit und Gemeinschaft für die Khawaja-Sira-Community (die dortige indigene Transgender-Kultur). Die in der Ausstellung PROUDLY PERVERTED vorgestellte BDSM-Szene ist neben privaten Räumen auch auf Orte angewiesen, an denen sich größere Gruppen treffen können.Lesbische Frauen* organisierten sich in einigen großen Städten der DDR in den 1980er Jahren ebenfalls nicht nur in privaten Räumen, sondern kamen unter dem Schutz der evangelischen Kirche zusammen. Gentrifizierung und die Veränderungen politischer Machtverhältnisse verdrängen vielerorts queere Räume, so auch die Lesbenbars – im JAHR DER FRAU_EN konnten wir dagegen eine Dyke Bar im Schwulen Museum eröffnen. Im türkischen Ankara musste die Ausstellung koloni/colony aufgrund von behördlichen Repressalien abgesagt werden, daher boten wir den Kurator*innen Derya Bayraktaroğlu und Aylime Aslı Demir des Vereins Kaos GL kurzfristig zwei frei gewordene Ausstellungsräume zum Auftakt des Jahres an. Und auch die Pandemie hat drastisch vor Augen geführt, wie essenziell physische Treffpunkte gerade für marginalisierte Menschen sind. Verschwinden die Orte, erschwert das die Selbst-/Verständigung einer Community und marginalisierte Kulturen werden weiter an den Rand gedrängt. Solidarität und aktive Kompliz*innenschaft haben uns im JAHR DER FRAU_EN sehr bewegt – ebenso wie wir uns für andere einsetzten, waren wir selbst auf Unterstützung angewiesen. Immer wieder sind wir in unseren verschiedenen Kontexten gefragt, einander zu helfen, zu bestärken und zu schützen. Zwei Orte möchte ich in diesem Magazin vorstellen: Einige der Kurator*innen des TransFormations – Trans* Film Festival Berlin und freie Mitarbeiter*innen des SMU gründeten zusammen mit anderen Casa Kuà, ein trans*, inter*, queeres Community- und Gesundheitszentrum, insbesondere für von Rassismus Betroffene in Berlin. Casa Kuà und seine Projekte sind wichtige Safer Spaces der Heilung und der aktivistischen Selbstorganisation für QTBIPOC. Der zweite Ort ist die für jede*n kostenlose Künstler*innenresidenz pIAR (perfocraZe International Artist Residency) in Ghana, die von der Künstlerin Va-Bene Elikem Fiatsi, bekannt als crazinisT artisT, betrieben wird. Einige ghanaische Parlamentarier*innen haben 2021 einen verschärften Anti-LGBTQIA+-Gesetzentwurf eingebracht, der, sollte er verabschiedet werden, nicht nur pIAR als Ort bedroht, sondern jegliches queere Leben in Ghana erheblich erschwert. Die Kuratorin und Co-Gründerin des Londoner Projekts CUNTemporary Giulia Casalini stellte für uns ein Interview über die künstlerische und aktivistische Praxis von Va-Bene zusammen. Unsere Kämpfe sind alle miteinander verbunden und brauchen gegenseitige Unterstützung: Falls ihr also Zugang zu Ressourcen habt, unterstützt doch diese beiden Projekte. – Zur Interkonnektivität: Während ich gerade diesen fertigen Text auf die Website stelle, sind große Flächen Pakistans überflutet. Einige Informationen und eine Solikampagne dazu findet ihr unter diesem Link. –

Theorieangebote gab es in der Reihe our own feminismS. Ulrike E. Auga, Professorin für Geschlechterstudien und Theologie, entwickelte speziell für das JAHR DER FRAU_EN eine zehnteilige Vorlesungsreihe Queerfeministisches Leben und Futurität, die einen Überblick über den aktuellen Stand der akademischen Debatte gibt. Wir können alle zehn Vorlesungen  in Form von Videodokumentationen präsentieren. In einem neuen Beitrag verfolgt Philosophin Luce deLire ihre These, dass sich die aktuellen queeren, westlichen Debatten auf einem Spektrum zwischen den zwei Polen ‚Gender Abolitionismus‘ und ‚Transmaterialismus‘ bewegen. 

88 Filme und Videoarbeiten wurden in den 12 Programmen der 12 Monde Filmlounge gezeigt. Im Magazin zu sehen sind drei davon: Matriarchy von Patricia Zamorano und Rosa Navarrete aus dem 1. Mond sowie Das Loch von Julia v. Randow und Our Vagina, Ourselves von Dajing aus dem 5. Mond. Filmtrailer und auch die Programmhefte mit weiterführenden Texten zu jedem Mond findet ihr im Archiv. Dort stehen auch Programmhefte und Ausstellungsguides zum Gesamtkonzept, zu allen acht Ausstellungen und 133 weiteren Veranstaltungen bereit. 

Auch Neuproduktionen von Künstler*innen sind dabei: Verena Melgarejo Weinandt präsentiert Fotografien mit einem begleitenden Gedicht, in dem sich ihr Alter Ego, Pocahunter, gegen kolonial-rassistische Zuschreibungen zur Wehr setzt. Die neu gegründete „Musikbande“ Komminuτέρας von Franck-Lee Alli-Tis, Christina Karagianni und Oýto Árognos arbeiten zur Destabilisierung von hegemonialen Nationalsprachen durch Musik, Rhythmus, Poesie und Bewegung. Das Projekt double single ist der erste Release ihres bevorstehenden Musikalbums und feiert bei uns Premiere. Sanni Est hat ihr Album PHOTOPHOBIA gerade herausgebracht. Für uns stellt sie bisher unveröffentlichtes Material zur Verfügung, das ihren erneuernden und rettenden Umgang mit einer durch Vernachlässigung zerstörten post-humanen Welt zeigt. Nika Fontaine beabsichtigt, in diesem Jahr eine NTF-Serie herauszugeben, in der sie zu ihren spirituellen und Naturerlebnissen arbeitet. Wir zeigen eine erste Bild-Text-Kombination. gorjeoux moon entwickelt derzeit eine „Meta-Methodologie der trans* Poesie“. In ihrem frisch produzierten Beitrag stellt sie ihre Arbeitsweise in Text und Video vor. 

Das JAHR DER FRAU_EN war ein umfangreiches Programm mit vielen unterschiedlichen Positionen und bot vielfältige Anlässe für Konflikt und Auseinandersetzung. Vier Beiträge ordnen aus unterschiedlichen Perspektiven einige Aspekte der Konflikte im und um das JAHR DER FRAU_EN ein und geben Anstöße für eine weiterführende Beschäftigung. Mit der Performerin Sadie Lune spreche ich über das von ihr mitgestaltete, legendär gewordene Eröffnungsritual und darüber, ob wir wirklich, wie in Presse und sozialen Medien immer wieder behauptet, damit die „Schwulen aus dem Museum räuchern wollten“. Die Medientheoretikerin und Künstlerin_Kuratorin der Ausstellung HIJRA FANTASTIK Claudia Reiche arbeitet auf humorvolle, künstlerische, gar künstliche Weise einiges Material aus dem „Hassmäppchen“ um, dem digitalen Ordner mit unserem Best-of-Shitstorm. Mit der Psycholog*in und Fachautor*in Gisela Fux Wolf spreche ich darüber, wie sich die Dynamiken der so harsch geführten Auseinandersetzungen innerhalb der LGBTQIA+-Communitys psychologisch deuten lassen und welche Handlungsmöglichkeiten in solchen Situationen überhaupt bestehen. Ein tieferes Verständnis bieten Ansätze aus der Transformative Justice, die shofie bhahalwan, Künstler*in und Berater*in für Konfliktarbeit, in einem überraschenden drag essay vorstellt. Der von Johanna Gehring sensibel illustrierte Beitrag zeigt alternative Umgangsweisen miteinander anhand aktueller und historischer Erzählungen von Konflikten und Gewalt auf.

Mit diesem Vorschlag für die Ausrichtung unserer Handlungen an (queer-)feministischen, abolitionistischen und gemeinwohlorientierten Grundsätzen für mehr Gerechtigkeit in unseren mehr-als-menschlichen Welten schließt das Magazin Nr. 1.

Einige geplante Beiträge sind gerade noch in Arbeit, sie werden hinzugefügt, sobald sie fertiggestellt sind. Wer zukünftig etwas beitragen möchte, einen Text, eine Übersetzung eines bereits bestehenden Artikels, eine Transkription oder auch künstlerische oder illustratorische Arbeiten, möge sich bei der Redaktion melden.

Ich bedanke mich bei allen Beteiligten am JAHR DER FRAU_EN 2018, die das Herz des Projekts bilden. Ohne euch kein JAHR DER FRAU_EN, kein Archiv, kein Diskurs. Auch das Dokumentationsprojekt hatte wohlwollende Begleiter*innen durch seine verschiedenen Formen und Phasen hindurch. Ich bedanke mich bei allen Beitragenden, Autor*innen und Künstler*innen des Projekts yearofthewomen.net für ihre Großzügigkeit und ihr Vertrauen in mich und uns. Ich danke allen, die an den Texten, Videos, dem kleinteiligem Upload, der Grafik usw. mitgearbeitet haben. Danke an die Stiftung Kunstfonds für die Flexibilität und an die privaten Spender*innen für ihre finanziellen Zuwendungen. Vielen Dank an Toni Brell für die Gestaltung und Programmierung der Website und des Magazins und an Sebastian Kraus aus der IT des SMU. Ich bedanke mich herzlich bei meiner ehemaligen Kollegin im SMU und Co-Kurator*in Birgit Bosold für die Unterstützung und ihr Vertrauen, mich dieses Projekt umsetzen zu lassen. Danke auch an alle Mitarbeitenden im Schwulen Museum für euer Engagement für die LGBTQIA+-Communitys.

Ich wünsche eine inspirierende Zeit mit Magazin und Archiv.

Vera Hofmann

1. September 2022

Unsere Verwendung gendersensibler Schreibweisen

Diese Website ist eine Sammlung verschiedener geschriebener und gesprochener Beiträge von unterschiedlichen Autor*innen und aus verschiedenen Perspektiven und Kontexten. Jeder Beitrag setzt sich in eigener Weise mit struktureller Gewalt und Machtverhältnissen auseinander und versucht sprachlich sensibel und kritisch mit diskriminierenden Normen und Logiken umzugehen. Für diese unterschiedlichen Positionen und Stimmen eine für alle passende Schreib- und Sprechweise zu finden, scheint uns weder möglich noch richtig. Stattdessen haben wir uns für einen pluralistischen und dynamischen Umgang entschieden. Wir verwenden den Asterisk und in einigen Fällen den Unterstrich, um zu vergegenwärtigen, dass es sich z.B. bei „Frau“ um eine sozial und kulturell hergestellte Kategorie handelt. Für Gruppen aus den LGBTQIA+-Communitys haben wir bestmöglich die Bezeichnung gewählt, die dem jeweils historisch aktuellen Debattenstand innerhalb der jeweiligen Gruppe entsprach und entspricht, wohlwissend, dass es auch Argumente gegen diese Praxis gibt. Jede Einzelperson haben wir gemäß ihrer Selbstbezeichnung gegendert. Da Begriffe und Schreibweisen seit 2018 weiterentwickelt wurden, haben wir manche Texte aus dem Programmteil angeglichen, die meisten jedoch im Original von 2018 belassen. 2018 haben wir uns auf FLINTA* (Frauen*, Lesben, Inter*, Nonbinary, Trans*, Agender) konzentriert und diese nach dem damals aktuellen Stand der Debatte gegendert. Heute würden wir auch „Mann“ mit Asterisk schreiben. Bei historischen Texten haben wir uns an einigen Stellen entschieden, auf Asterisk oder Unterstrich zu verzichten, um deutlich zu machen, dass die zeitgenössischen feministischen Kämpfe von zwei Geschlechtern ausgingen. Insgesamt haben wir uns kontextspezifisch und im Einzelfall für die eine oder andere Schreibweise entschieden und uns zudem bemüht, die Herangehensweisen der einzelnen Autor*innen und Kurator*innen zu respektieren.

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