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Fragen und Antworten zum JAHR DER FRAU_EN
Stand: 17.7.2022
Bisher beantwortete Fragen:
Was war das JAHR DER FRAU_EN?
Wer hat am JAHR DER FRAU_EN mitgewirkt?
Warum wurde überhaupt interveniert?
War die Intervention erfolgreich?
Warum ist es wichtig, das Projekt zu dokumentieren?
Wie ist dieses Archivprojekt entstanden?
Warum gibt es keinen gedruckten Katalog?
Wie wurde das Programm des JAHR DER FRAU_EN erstellt?
Welches Budget stand zur Verfügung?
Was hat es mit dem Titel JAHR DER FRAU_EN auf sich?
Wie wurde das Projekt rezipiert?
War das JAHR DER FRAU_EN eine (feindliche) lesbische Übernahme?
Das JAHR DER FRAU_EN war eine über das ganze Jahr 2018 laufende queer-/feministische Intervention in das Schwule Museum (SMU). Die Anliegen des Projekts waren so anspruchsvoll wie komplex: Es ging zum einen darum, die diskriminierenden Strukturen im Museum selbst, aber auch in der Kunst- und Kulturwelt ingesamt zu adressieren. Zum Anderen sollte die gleichberechtigte Teilhabe und Selbstrepräsentation von Frauen*, Lesben, inter, nichtbinären, trans* und agender Personen (FLINTA*) in einem der weltweit größten Inkubatoren für Kunst, kuratorische Forschung, Archivierung und Vermittlung der Geschichte und Kultur von LGBTQIA+ etabliert werden. Das hat eine Vorgeschichte: Schon 2008 hatte sich das Schwule Museum, das bis dahin exklusiv der Geschichte und Kultur cis- und endogeschlechtlicher schwuler und weißer Männer* gewidmet war, den Auftrag gegeben, sich für das gesamte LGBTQIA+-Spektrum zu öffnen. 10 Jahre später war dieser Anspruch noch immer nicht eingelöst (s. „Warum wurde überhaupt interveniert?“). Um queere, feministische, antirassisische und intersektionale Politiken in den Strukturen und Werten des Hauses zu verankern, galt es bei bisher nicht vertretenen Gruppen Vertrauen aufzubauen und neue zeitgenössische ästhetische und feministische Praktiken des Kuratierens und Vermittelns zu implementieren.
Die Intervention wirkte in alle Strukturen des Museums hinein: in die Sammlungen und das Archiv, das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm, den Shop, das Café, die Verwaltung und den Verein, der rechtlicher Träger des SMU ist.
Das Programm des JAHR DER FRAU_EN war vielstimmig, wurde aus und mit verschiedenen Communitys entwickelt, oft kollektiv kuratiert und legte den Fokus auf wenig vertretene statt auf bereits bekannte und kanonisierte Positionen. Heute schon historisch gewordene Aktivitäten der Frauen*- und Lesben-Bewegung wurden dabei mit dem gerade in Berlin sehr agilen und vielfältigen jungen, intersektionalen, queer-feministischen und trans* Aktivismus vermittelt. Das ermöglichte Begegnungen, Auseinandersetzungen und neue Allianzen über die Generationen und Subjektpositionen hinweg. Eine Installation im Café, neun Ausstellungen zu Kunst, Kultur und Aktivismus von FLINTA* und eine das ganze Jahr laufende Filmreihe wurden in fünf Räumen präsentiert. Dazu kam ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm mit Vorlesungen, Konferenzen, Symposien, Gesprächsrunden, Workshops, Konzerten, Filmabenden und Führungen. Als umfangreichste Ausstellung im JAHR DER FRAU_EN bot LESBISCHES SEHEN erstmals einen Überblick über weiblich-queere künstlerische Positionen aus mehr als einem Jahrhundert und sechs Generationen. In der 12 Monde Filmlounge wurden 91 Filme und Videoarbeiten aus 50 Jahren gezeigt. Mit ihrem Schwerpunkt auf einer intersektionalen Bearbeitung der Themen Ökonomie, Ökologie, Widerstand und Begehren von FLINTA* ergänzte sie das Programm des JAHR DER FRAU_EN und kommentierte dessen Leerstellen kritisch. Eine relationale künstlerische Installation verwandelte das Museums-Café in die Dyke Bar SPIRITS, mit der einerseits historische Referenzen aufgegriffen wurden, andererseits eine Plattform für Auseinandersetzungen geboten werden sollte. So zeichnete sie die kakophonische Geschichte der selbstorganisierten Schutzräume von FLINTA* komplexer und präziser nach als ein auf Präsentation ausgelegtes Ausstellungsformat dies leisten könnte.
Das Jahr markiert eine institutionelle Wende im SMU. Es stärkte das Museum als Ort des gemeinsamen Lernens mit und von mehrfach marginalisierten Menschen nicht nur, indem es deren Positionen präsentierte. Das Haus öffnete sich zugleich nachhaltig für die Artikulation komplexer politischer und ästhetischer Zusammenhänge. Noch nie wurde so viel im und über das Haus diskutiert und teils heftig geführte Debatten begleiteten einzelne Projekte wie das ganze Programm. Gleichzeitig brachte es dem Museum sein besucher*innenstärkstes Jahr[1].
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 2.5.2022)
[1] Ein besseres Ergebnis wurde nur 2015 durch die in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum gezeigte Schau Homosexualität_en erzielt, die überregional breit rezipiert wurde und mit einem entsprechend großen Marketingbudget ausgestattet war.
Das Projekt initiierten und leiteten Birgit Bosold und Vera Hofmann. Birgit Bosold ist seit 2006 und Vera Hofmann war von 2016 bis 2020 Mitglied des Vorstands des Schwulen Museums. Das Programm wurde von einem breiten Spektrum von Kurator*innen, Künstler*innen, Referent*innen sowie von Mitarbeiter*innen des SMU gestaltet. Die meisten von ihnen leben in Berlin, brachten verschiedenste berufliche und private Erfahrungen mit und entstammen unterschiedlichen Generationen. Professionelle kuratorische Expertise war keine Voraussetzung, um das Programm mitzugestalten. Die Subjektpositionierungen der Beteiligten in Bezug auf Gender waren vielfältig: Frauen*, Lesben, Queers, Trans*, Nonbinary, Inter*, Two Spirit, Agender u.a. sowie einige schwule cis Männer* wirkten mit. Das JAHR DER FRAU_EN wurde von allen Gremien des Museums mitgetragen, insbesondere vom Vorstand. Es wurde ermöglicht durch eine Förderung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und durch das vielfach auch ehrenamtliche Engagement vieler Mitwirkender. Sie sind namentlich unter Beteiligte aufgeführt.
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 2.5.2022)
Wir, Birgit Bosold und Vera Hofmann, – 2017 die einzigen weiblich gelesenen Personen im acht-köpfigen Vorstand des Schwulen Museums – hatten schlicht genug vom subtilen und manchmal auch offenen Sexismus in Haus und Community, der sich im SMU in den Strukturen und im Ausstellungsprogramm widerspiegelte und nicht zuletzt im Namen. Auch wenn es gute Gründe gegen eine Umbenennung des SMU gibt, weil der Name eine eingeführte Marke ist oder weil „queer“ im deutschen Kontext ziemlich zahm klingt, zeugt er doch von der Hegemonie schwuler Männlichkeit* in der Community. (Für die englischsprachigen Leser*innen: „Schwul“ bezeichnet anders als im Englischen „gay“ ausschließlich homosexuelle Männer*). Im Sommer 2017 hatten wir unseren „Snap“, wie Sara Ahmed es nennt, also den Moment, in dem wir entschieden, dass etwas passieren musste. Dazu kam die ernüchternde Bilanz, die wir 10 Jahre, nachdem das SMU 2008 seine strategische Öffnung für alle Gruppen des LGBTQIA+-Spektrums verkündet hatte, ziehen mussten. Wie eine Auswertung der von 2008 bis 2017 gezeigten 80 Ausstellungen dokumentiert, widmeten sich fast 50 % der Projekte schwulen Künstlern*, Protagonisten* oder Themen. 31 % versuchten sich multiperspektivisch in einem vielfältigeren queeren Kosmos zu bewegen, nur 12 % präsentierten lesbische, 8 % trans* Positionen und nur 2 % der Ausstellungen konzentrierten sich auf die spezifischen Perspektiven von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPOC). Dieses Ergebnis war leider repräsentativ für die Macht- und Ressourcenverteilung innerhalb der gesamten LGBTQIA+-Community. Auch wenn sich das inzwischen verändert hat, gingen zwischen 2008 und 2017 noch die Hälfte aller Zuwendungen des Berliner Senats, die an die LGBTQIA+-Organisationen der Stadt vergeben wurden, an schwul positionierte Institutionen. Die andere Hälfte durften sich alle anderen teilen.
Weiterführendes Material:
Bosold, B., Hofmann, V.: Jahr der Frau_en, Schwules Museum 2018
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 2.5.2022)
Das Jahr 2018 war das erfolgreichste Jahr in der über 30-jährigen Geschichte des Museums. Das gilt sowohl für die Anzahl der Besucher*innen und die Einnahmen aus Eintritten wie auch für die mediale Aufmerksamkeit und Reichweite[2] – zudem entstanden viele neue Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen, Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Der vielleicht wichtigste Erfolg des Projekts war aber, dass sich neue Standards in der Organisationskultur etablieren konnten. Alle Bereiche des SMU, Archiv & Sammlungen, Programmleitung und Verwaltung bemühen sich inzwischen aktiv darum, diskriminierenden und ausschließenden Mechanismen entgegenzuwirken und mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Die Themen der Programme und die Zusammensetzung der Teams wurden seitdem deutlich diverser, auch wenn natürlich noch viel Luft nach oben bleibt.
Neu hinzugekommene Ehrenamtliche in Archiv und Museumsbetrieb verjüngten den Kreis der Aktiven und viele neue Mitglieder im Trägerverein entscheiden seitdem über die Strategie des SMU mit. 2018 kam es zu einer historisch zu nennenden Abstimmung: Ein Team aus Kandidat*innen, die sich deutlich queer-feministisch positionierten, wurde gewählt und keine Person aus einer kurzfristig angetretenen Gruppe von betont schwul positionierten Gegenkandidaten erhielt die notwendigen Stimmen für ein Mandat. 2018 wurde auch das neue Leitbild des SMU verabschiedet, das seinem programmatischen Wandel Rechnung trägt.
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 2.5.2022)
[2] Ein besseres Ergebnis wurde nur 2015 durch die in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum gezeigte Schau Homosexualität_en erzielt, die überregional breit rezipiert wurde und mit einem entsprechend großen Marketingbudget ausgestattet war.
Zwar wurde das Projekt in vielen Communitys und in der queeren Presse stark wahrgenommen, die mediale Resonanz jenseits der Communitys fiel allerdings eher bescheiden aus. Aber auch die Berichterstattung der queeren Medien war wenig zufriedenstellend. Texte, die häufig nur auf dem Niveau der in den sozialen Medien geführten Ressentiment-geladenen Debatten argumentierten, wurden der Relevanz des Projekts aus unserer Sicht nicht gerecht.
Im Schwulen Museum selbst wird die Bedeutung des Programms für die Entwicklung des Hauses noch immer wenig reflektiert. Weder ist es analog bisher ausreichend archiviert noch wird es an neue Mitarbeitende vermittelt.
Das Anliegen dieser Website ist es daher, sozusagen noch einmal zu intervenieren: in die Erinnerungspraxis des Schwulen Museums und der LGBTQIA+-Community. Durch die vollständige Archivierung und die Möglichkeit, fortlaufend reflektierende Beiträge hinzuzufügen, leistet sie einen aktiven Beitrag dazu, die grundlegende Rolle des Programms nicht zu vergessen, und wirkt einer verzerrten und einseitigen Vermittlung entgegen.
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 20.5.2022)
Ende 2018 entstand die Idee für eine Publikation zum Projekt. Vera Hofmann sichtete in den letzten Jahren das vorhandene Material, bereitete es auf und entwickelte Konzepte für die Archivierung, Dokumentation und Reflexion. Gemeinsam konnten Fördermittel akquiriert werden. Mit Unterstützung eines kleinen Teams wurde von Oktober 2021 bis August 2022 diese Website umgesetzt. Das Projekt wurde finanziell unterstützt von der Stiftung Kunstfonds, dem Schwulen Museum und verschiedenen privaten Förder*innen.
(beantwortet von Birgit Bosold, 20.5.2022)
Zunächst war ein umfangreiches Buch geplant mit einer reinen Archiv-Website. Dafür konnten jedoch nicht ausreichend Fördermittel eingeworben werden. Mir war es nach wie vor wichtig, das gesamte Programm zu dokumentieren und nicht auswählen zu müssen, was gezeigt wird. Die Umsetzung des gesamten Projekts in digitaler Form kann dieser Anforderung nun besser gerecht werden als es ein abgespecktes Buch könnte. Während der Pandemie haben sich zudem im Kunst- und Kultursektor mit seiner Vielzahl von freiberuflich Arbeitenden Kapazitäten und Prioritäten stark verschoben. Das in dieser Zeit konzipierte Format ist flexiblel gehalten, so dass auch zu einem späteren Zeitpunkt verschiedene Beitragsformen und -längen hinzugefügt werden kann.
(beantwortet von Vera Hofmann, 25.5.2022)
Zunächst ist ein Einblick in die Arbeitsweise des SMU nötig, um die Zwänge und Einschränkungen verständlich zu machen, im Rahmen derer seine Programme und eben auch das JAHR DER FRAU_EN zustande kommen. Die Programmgestaltung im Schwulen Museum ist eine komplizierte Puzzlearbeit. Es gibt keine Direktive durch eine künstlerische Leitung, sondern kollektive Entscheidungsprozesse. Das für das Ausstellungsprogramm zuständige Gremium ist die sogenannte „Ausstellungsgruppe“, die sich aus Mitarbeitenden und Vorstandsmitgliedern zusammensetzt; letztverantwortlich ist der ehrenamtlich arbeitende Vorstand. Die künstlerische und kuratorische Verantwortung für die Ausstellungen und Events tragen die jeweiligen Kurator*innen und Organisator*innen.
Insbesondere größere Ausstellungsprojekte haben einen relativ langen zeitlichen Vorlauf, weil sie in der Regel mit Fördermitteln finanziert werden. Diese müssen jeweils viele Monate im Voraus beantragt werden, was nicht immer erfolgreich ist, so dass es keine Planungssicherheit gibt. Zusagen und auch Ablehnungen gestellter Anträge treffen meist sehr kurzfristig ein. Es muss also immer ein Plan B bereitliegen. Ausstellungen und Veranstaltungen müssen Publikum anziehen, weil die Einnahmen aus Tickets ein relevanter Teil der Finanzierung des SMU sind. Experimentelle und neue Formate auszuprobieren, ist damit immer auch ein finanzielles Risiko. Das Programm muss außerdem noch irgendwie in die Kultur des Hauses passen, denn jede Veranstaltung und Ausstellung ist auf die wohlwollende Unterstützung des gesamten SMU-Teams angewiesen.
Wie bei fast allen kulturellen Institutionen sind die Ressourcen des SMU sowohl was Personal- als auch was Sachmittel betrifft knapp bemessen. Einige für ein Museum zentrale Personalstellen waren 2018 noch nicht eingerichtet, zum Beispiel Ausstellungs- und Eventmanagement, Medientechnik und Dokumentation.
Ein Teil des Programms bestand aus bereits unabhängig vom JAHR DER FRAU_EN geplanten Projekten, die sich thematisch einfügen ließen. Das gilt z.B. für zwei Ausstellungsprojekte, die der Mitbegründer des SMU, Wolfgang Theis, zusammen mit den jeweiligen Protagonist*innen realisierte: RADIKAL – LESBISCH – FEMINISTISCH und SEX IM ALTER: Hommage zum 69. Geburtstag von Mahide Lein. Auch die Ausstellung HIJRA FANTASTIK von Claudia Reiche war bereits in einem anderen Zusammenhang geplant und wurde in das Programm integriert. Aykan Safoğlu, damals Mitglied des Vorstands, holte die von Mitgliedern des türkischen LGBTQIA+-Vereins KAOS GL kuratierte Ausstellung colony/koloni ins SMU. Die in Ankara kurz vor ihrer Eröffnung verbotene Schau, die dann zwar unter veränderten Vorzeichen in Istanbul gezeigt werden konnte, wurde in einen kurzfristig frei gewordenen Slot eingeladen.
Die spezifisch für das Programm entwickelten Projekte wurden einerseits von Mitarbeitenden aus dem Team des SMU, andererseits von eingeladenen externen Kurator*innen und Kollektiven kuratiert. Diese Einladungen erfolgten über eigene Netzwerke und Recherchen oder an uns herangetragene Vorschläge. Thematisch wurde versucht, das Programm möglichst vielstimmig anzulegen, also Kultur, Kunst, Theorie und Aktivismus vielfältig abzubilden und auf eine ausgewogene Repräsentation zu achten – hier mit Leerstellen bedingt durch das überwiegend endo, cis, weiße, abled-bodied positionierte Team.
Vorschläge für Events konnten von allen intern oder extern Beteiligten eingebracht werden und wurden umgesetzt, sofern Termine und Kapazitäten vorhanden waren.
(beantwortet von Vera Hofmann, 1.6.2022)
Der Gesamtetat für das JAHR DER FRAU_EN betrug ohne Eigenleistungen 120.000 Euro und wurde von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert. Eigenleistungen sind z.B. Raumkosten, Verwaltungsleistungen, Bauleistungen und sonstige Betriebskosten. Das Dokumentationsprojekt war mit einem Budget von 29.000 Euro ausgestattet. In beide Projekte floss ein hoher Anteil ehrenamtlicher Arbeit ein.
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 1.6.2022)
Der Titel entstand als Arbeitstitel spontan in einem spätabendlichen Brainstorming und wie so oft erwies sich das Provisorium als enorm stabil. Gedacht war er als selbst-/ironischer Rekurs auf das „Internationale Jahr der Frau“, das von der UN-Generalversammlung im Jahr 1975 ausgerufen worden war. Bekanntermaßen war dieses Projekt nicht durchschlagend erfolgreich, weshalb wir es eben noch einmal ausriefen. Der Titel gab Anlass für Kritik: Aus der lesbischen Community wurde beanstandet, dass wir unser Projekt nicht „Jahr der Lesben“ getauft hatten; einige der sich nicht als weiblich identifizierenden Queers, insbesondere trans* Männer, fühlten sich davon nicht angesprochen; einige Menschen aus der trans* Community kritisierten das Sternchen im englisch- und den Unterstrich im deutschsprachigen Titel als unangemessen, weil trans* Positionen im Programm nicht ausreichend vertreten seien. Wir wollten mit Unterstrich und Sternchen einerseits markieren, dass wir „Frau“ als sozial und kulturell hergestellte Kategorie verstehen, und zum anderen uns und unser Programm gegen trans-exklusive Positionen innerhalb der queeren Szene abgrenzen, die zu dieser Zeit gerade anfingen, Fahrt aufzunehmen.
(beantwortet von Birgit Bosold und Vera Hofmann, 1.6.2022)
Nie zuvor gab es derart intensive und auch heftige Debatten, die in veritablen Shitstorms und Hatespeech kulminierten – um das Museum, seine strategische Ausrichtung, die Besetzung von Stellen und Vorstandspositionen. Sie wurden in einer bisher von uns nicht erlebten Härte geführt, sowohl im Haus als auch in der queeren Öffentlichkeit der Stadt. Ein Teil der heftigen Attacken gegen unser Programm war ganz einfach (schwulem) Sexismus geschuldet. Die Auseinandersetzungen um das JAHR DER FRAU_EN insgesamt sind jedoch komplexer, ineinander verwoben und in einem kurzen Text nicht adäquat wiederzugeben. Letztendlich sind es Kämpfe um kulturelle Hegemonie und damit um materielle und symbolische Ressourcen. Besonders virulent wurde im JAHR DER FRAU_EN ein neuartiges Bündnis zwischen altbekannter schwuler Misogynie und sich neu formierenden trans*feindlichen sogenannten „radikalfeministischen“ Positionen. Beiträge von schwulen-bewegten Autoren, die sich ernsthaft mit den Anliegen des Programms in den eigenen Communitys und in Kunst, Kultur und Gesellschaft auseinandergesetzt hätten, waren äußerst rar. Umso mehr wurde einer pauschalen Diskreditierung von queer-und trans-feministischen Positionen und der Empowerment-Praktiken von FLINTA*, insbesondere von QTIBIPOC, das Wort geredet. Sympathisant*innen des Projekts wurden in den Sozialen Medien eingeschüchtert und wir als die beiden weiblich gelesenen Vorstandsmitglieder waren vielfachen Beleidigungen, Verleumdungen und übler Nachrede in den Sozialen Medien, in Pressebeiträgen, in Schreiben an das SMU oder in privaten Nachrichten und E-Mails ausgesetzt. Im Archiv gibt es für Neugierige und Forschende im ersten Archiveintrag den Pressespiegel, weiterführende Links zum Hintergrund der Debatte sowie unser von uns liebevoll so genanntes „Hassmäppchen“ mit einer kleinen Auswahl von Screenshots, das „Best of Shit“ sozusagen. Zu den fiesesten Foren und Threads, deren Inhalte uns der Flurfunk hier und da zutrug, hatten wir allerdings keinen Zugang und vielleicht ist das auch besser so.
Neben alldem erhielten wir sehr viel positives Feedback von Menschen vor Ort und aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. Sie alle betonten die kulturelle und politische Bedeutung unseres Programms und die einladende Atmosphäre bei den Veranstaltungen. Selbst einige der heftigsten Skeptiker*innen unter den Ehrenamtlichen waren traurig, als das Programm zu Ende ging.
Viele Menschen aus den QTIBIPOC Communitys waren und blieben skeptisch, teils wegen schlechter Vorerfahrungen mit dem SMU. Es gab und gibt weiterhin Rassismus und Sexismus im Haus, Teams und Programm sind zu wenig divers und viele Positionen immer noch ausgeschlossen. Aufgrund der Geschichte und der Strukturen des Schwulen Museums war es schwer bis unmöglich, Intersektionalität und Diskriminierungssensibilität als elementare Prinzipien im täglichen Betrieb und im Kuratorischen anzuerkennen und zu praktizieren. An anderen Stellen wurden sie schlicht nicht ausreichend mitgedacht und umgesetzt – auch nicht im JAHR DER FRAU_EN. Im Laufe des Jahres wurden aber zumindest viele der ausschließenden Praxen endlich adressierbar und herausgefordert.
(beantwortet von Birgit Bosold und Vera Hofmann, 1.6.2022)
Nein, war es nicht, das geben wir hiermit wieder und noch einmal zu Protokoll. Wir waren selbst überrascht von dem harschen Gegenwind, der uns aus den schwulen und teilweise auch lesbischen Communitys im und um das SMU entgegenschlug. Das fortwährend wiederholte Phantasma von schwuler Seite war, dass „Lesben den Laden übernehmen wollten“ und sich „an den Fleischtöpfen der Schwulen bedienen“, natürlich, weil sie „selbst nichts eigenes zustande bringen“. Nicht zuletzt dieses Archiv belegt dagegen, wie viele Menschen am JAHR DER FRAU_EN mitgewirkt haben und was ihre Anliegen waren. Das Projekt wurde auch nicht von zwei Doppelaxt-schwingenden Lesben brachial und gegen harte Widerstände im Haus durchgesetzt, sondern vom gesamten SMU, vom Vorstand, den Mitarbeitenden, den Programmverantwortlichen, den Ehrenamtlichen in Museumsdienst und Archiv/Bibliothek und den Mitgliedern des Vereins getragen. Alle waren explizit eingeladen, aktiv mitzuarbeiten und Ideen und Engagement einzubringen. Dass wir dennoch zu den Gesichtern des Projekts wurden, hatte nicht zuletzt auch mit dem Sexismus zu tun, gegen den wir angetreten sind: Hier zeigt sich einmal mehr die gern geübte Praxis, die Verantwortung für feministische Anliegen Frauen* zuzuschieben.
(beantwortet von Vera Hofmann und Birgit Bosold, 1.7.2022)