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Barbara Mahlknecht

Lena Rosa Händle: Pelze (2015)

Künstlerische (Wieder-)Aneignung, lesbisch-feministische Erinnerungspolitik und Intergenerationalität

Lena Rosa Händle, Reclaming Gestures, Kubus EXPORT– der transparente Raum, Wien, 2015, Ausstellungsansicht. Foto: Lena Rosa Händle
Lena Rosa Händle, Reclaming Gestures, Kubus EXPORT– der transparente Raum, Wien, 2015, Ausstellungsansicht. Foto: Lena Rosa Händle
Pelze, Potsdamer Strasse 139, im Vordergrund rechts das Auto von Mahide Lein, 1981. RoB-Archiv. Foto: Roswitha Baumeister
Pelze, Potsdamer Strasse 139, im Vordergrund rechts das Auto von Mahide Lein, 1981. RoB-Archiv. Foto: Roswitha Baumeister

Lena Rosa Händles zugleich präzise und vielschichtige Arbeit Pelze (2015) steht für den Dialog zwischen unterschiedlichen Generationen von Frauen*/Lesben ebenso wie für eine spezifische Form von politischer und künstlerischer (Wieder-)Aneignung. Das Kunstwerk besteht aus dem Schriftzug Pelze, den Händle als Neonleuchtschrift produzieren ließ, mitsamt einer Halterung aus Metall und Ketten.

Zuerst wurde Pelze 2015 im Kubus EXPORT– der transparente Raum der Künstlerin Valie Export unter dem Gürtelbogen 48 in Wien im Rahmen von Händles Einzelausstellung Reclaming Gestures gezeigt, und war u.a. im Rahmen des JAHR DER FRAU_EN in der Ausstellung LESBISCHES SEHEN, kuratiert von Birgit Bosold und Carina Klugbauer, im Schwulen Museum in Berlin 2018 zu sehen. Für die Reclaming Gestures-Ausstellung 2015 hatte Händle neben Pelze einen großformatigen Leuchtkasten mit zwei Fotografien konzipiert, in denen sie sich zugleich kritisch und humorvoll an den sexistischen Wahrnehmungsapparaten der Werbefotografie abarbeitete. Der zweiseitige LED-Leuchtkasten aus Stahl mit einem Format von 2074 x 1074 mm zeigte die Künstlerin in selbstbestimmten, ja ermächtigend-lustvoll wirkenden Posen, in denen sie stereotype Darstellungen von Frauen und ihren Körpern in der Werbung nachahmte, störte und neu besetze. Die transparente Konstruktion des Kubus EXPORT im öffentlichen Raum unterstrich Händles Spiel zwischen der vermeintlichen Offensichtlichkeit von Werbebotschaften und den zwar versteckten, aber dennoch vorhanden Potenzialen ihrer Subvertierung. Das Motiv der künstlerischen Wiederaneignung war jedenfalls – sowohl als künstlerische Strategie, als auch im Sinne des politischen Widerstands gegen die heteronormative, patriarchale und kapitalistische Vereinnahmung – für die Reclaming Gestures-Ausstellung 2015 zentral.

Lena Rosa Händle, Pelze, 2015, Ausstellungsansicht im Rahmen von Lesbisches Sehen, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Lena Rosa Händle
Lena Rosa Händle, Pelze, 2015, Ausstellungsansicht im Rahmen von Lesbisches Sehen, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Lena Rosa Händle
Lena Rosa Händle, Pelze, 2015, Ausstellungsansicht im Rahmen von Lesbisches Sehen, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Lena Rosa Händle
Lena Rosa Händle, Pelze, 2015, Ausstellungsansicht im Rahmen von Lesbisches Sehen, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Lena Rosa Händle

Dieses Motiv der künstlerische (Wieder-)Aneignung tritt in Händles Neonleuchtschrift Pelze mit lesbisch-feministischer Erinnerungspolitik und intergenerationaler Forschung und Arbeit zusammen. Pelze bezieht sich auf den legendären Berliner Frauen*/Lesben-Kunst- und Aktionsraum Pelze multimedia, der in der Potsdamer Straße 139 von 1981 bis 1996 bestand. Unter dem Namen Pelze multimedia eigneten sich Frauen* und Lesben verschiedener sozialer Schichten und Altersgruppen das ehemalige Pelzgeschäft an und verwandelten es in einen Treffpunkt und Ort der lesbisch-feministischen Kunstproduktion und Aktion. Pelze multimedia agierte selbstorganisiert, kollektiv, kontroversiell, experimentell. Händle verfolgte den Akt dieser Aneignung, indem sie den Original-Schriftzug von Hand nachzeichnete und die Leuchtreklame an Ketten befestigte (das Werk wurde bisher auf verschiedene Weise installiert, auf dem Boden stehend, von der Decke hängend oder direkt an der Wand fixiert). Das Wieder-Zitieren ist jedenfalls nicht nur die 'Nachzeichnung' einer Praxis queer-feministischer Aneignung und Fortschreibung; vielmehr reklamiert Händles Arbeit die (Un-) Sichtbarkeit devianter künstlerischer und aktivistischer Praxis im und für den öffentlichen Raum und hinterfragt ihre historische und zeitgenössische Bedeutung.

Vereinsgründung Pelze, 1991. RoB-Archiv. Foto: Roswitha Baumeister
Vereinsgründung Pelze, 1991. RoB-Archiv. Foto: Roswitha Baumeister

Für die nachfolgende Generation von Künstlerinnen und Aktivistinnen wie Lena Rosa Händle stellt sich die Frage nach den Modi queer-feministischer Erinnerung, insbesondere in einer Zeit des Erstarkens von Misogynie und Lesbophobie und im Zuge neu aufkommender rechter Ideologien. Mit Pelze verbindet die Künstlerin daher auch weitere Formen künstlerisch forschender Arbeit, zum Beispiel durch den aktiven Dialog zwischen Generationen, wie er mit vielen der ehemaligen "Pelze-Frauen*" sowohl im Prozess der Recherche, als auch im Rahmen der Ausstellung LESBISCHES SEHEN und darüber hinaus stattgefunden hat. Besonders intensiv war die intergenerationale Arbeit mit Frauen* und Künstler*innen wie der lesbischen Künstlerin und Aktivistin Roswitha Baumeister. Für die Veranstaltung Aus beider Roter Mund – Poetische Verdichtung zum doppelten Roten Mund im Rahmenprogramm zur Ausstellung am 3.8.2018 führten Lena Rosa Händle und Roswitha Baumeister die erinnerungspolitische Auseinandersetzung der Öffentlichkeit zu, in deren Zuge weitere Begegnungen zwischen und mit ehemaligen Pelze-Künstlerinnen und Aktivistinnen stattfanden: Diese erste Generation des Pelze multimedia (darunter Roswitha Baumeister und Ursula Birther) hatte intensiv nach lesbischen Vorbildern in Kunst und Leben geforscht und dazu eine Reihe künstlerischer Arbeiten entwickelt.

Lena Rosa Händle und Roswitha Baumeister für die Veranstaltung Aus beider Roter Mund – Poetische Verdichtung zum doppelten Roten Mund, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Lena Rosa Händle
Lena Rosa Händle und Roswitha Baumeister für die Veranstaltung Aus beider Roter Mund – Poetische Verdichtung zum doppelten Roten Mund, Schwules Museum Berlin, 2018. Foto: Verena Franke

Aus den Begegnungen sind schließlich weitere Dialoge entstanden. Seit 2020 forscht Lena Rosa Händle zu unabhängigen feministischen Gruppen der West- und Ost-Berliner Subkultur der 1980er Jahre, die sie durch die partizipative künstlerische Arbeit Wilde Schwestern und bunte Bräute (Arbeitstitel) in neu inszenierten Gruppenbildern porträtiert.

August 2022
– ein ausführlicherer Text folgt im Herbst 2022 und wird hinzugefügt.

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