Schriftgröße anpassen

Leichteres Lesen

Birga Meyer im Interview

Vom communityzentrierten Kuratieren und dem Öffnungsprozess im Schwulen Museum

Ein Interview mit Birga Meyer, Kuratorin der Ausstellung PROUDLY PERVERTED im JAHR DER FRAU_EN

Vera Hofmann
Wir wollen heute Dein Engagement im Schwulen Museum seit dem JAHR DER FRAU_EN nachvollziehen, Euren Kurationsprozess und wie Du daraufhin Deine Arbeit am SMU fortsetzt. Wie hat es aus Deiner Sicht angefangen?

Birga Meyer
Panda kam Ende 2017 auf mich zu und sagte, du hättest mit ihr darüber gesprochen, dass es ein JAHR DER FRAU_EN geben soll und ihr dort gern eine Ausstellung über BDSM hättet. Bei deiner Frage, ob sie nicht wen dafür kenne, hat sie an mich gedacht. Dann ging alles sehr schnell. Ich glaube, weil ich sowieso schon an der Dokumentation dieser Szene dran war und dazu was machen wollte. Ich hatte zwar noch kein Ausstellungskonzept, aber als die Anfrage kam, habe ich sofort gewusst, was ich wollte. Ich bin dann zu unserem ersten Treffen auch schon mit einem relativ fertigen Konzept gekommen. So ist es dann allerdings gar nicht geworden… Also angefangen hat es mit unserem Treffen im Schwulen Museum, mit dir und Birgit, Kaj und mir.

VH
Wir hatten damals auch über euer Raumkonzept gesprochen. Ihr wolltet mit Spielgeräten einen Parcours bauen. Das hat sich dann komplett verändert.

BM
Ja, in diesem Meeting wurde klar, ihr wollt diese Ausstellung, wir auch. Wir kriegen das hin. Und dann war Teil der Abmachung, dass wir das in die FLTI-BDSM-Szene zurücktragen und erst einmal die Bereitschaft abklären. Es war von Anfang an Teil meines Konzepts, dass wir in einem co-kuratierten Prozess die Leute ins Boot holen und diese Ausstellung gemeinsam machen. Und darum ist dann die gesamte Idee auch nochmal grundlegend geändert worden. Dieser Prozess war eher langwierig und hat dann nochmal zwei oder drei Monate gedauert, weil es zu dem ursprünglichen Konzept sehr viel Gegenwind und sehr viele berechtigte Einwände gab.

VH
Weil es zu stark Privates in die Öffentlichkeit gebracht hätte?

BM
Es gab viele verschiedene Einwände gegen das erste Konzept – und die Frage was öffentlich wird, war sicher eine der wichtigsten. Wir wollten ursprünglich die Geschichte der Szene erzählen, von Mitte der 90er bis heute. Und das hätte bedeutet, dass man einem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden soll. Es gibt eine Reihe von Menschen, die einfach wichtig sind für die Szene, die aber nicht in die Öffentlichkeit wollen. Und dann hätten wir uns sich entweder entscheiden müssen, die Geschichte anonymisiert zu erzählen oder die wichtige Rolle dieser Menschen rauszulassen. Beides ist nur schwer machbar und auch irgendwie unattraktiv. Wer würde schon wollen, dass die eigene Geschichte erzählt wird, aber nur halb und mit einem konstanten Auslassungszeichen? Andere wollten die Geschichte in einem Prozess erarbeiten, der wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen hätte als zur Verfügung stand. Und einige wollten gar nicht, dass ihre Geschichte erzählt wird, was natürlich als eine legitime Entscheidung absolut zu respektieren ist. Das eine war also, dass der Personenschutz nicht hätte gewährleistet werden können. Und das zweite, dass auch der Ortsschutz nicht funktioniert hätte. Denn es ist schwer die Geschichte der Szene zu erzählen, ohne sichtbar zu machen, wo etwas stattgefunden hat. Und es war zentral, weiter Schutz zu gewähren für die Veranstaltungsorte. Klar war das für uns, als das Konzept abgelehnt wurde, erstmal ein schwieriger Moment in dem wir dachten: „So ein Mist, das Konzept funktioniert nicht!“

VH
Aufhänger für die Ausstellung sollte eigentlich eines der wichtigsten Treffen der Szene sein, das dann auch so benannt werden sollte.

BM
Ja, denn 2018 war das 20jährigen Jubiläum dieser Veranstaltung. Das wäre natürlich auch super spannend gewesen. Und ich hätte auch total gerne welche von den älteren Aktivist*innen ein bisschen mehr hervorgehoben, weil ich die einfach cool finde; weil ich finde, die haben geile Sachen gemacht. Aber wenn sie das nicht wollen, dann geht das auch nicht. Das habe ich dann auch eingesehen. Ein Teil der Community war dann am Anfang auch grundsätzlich gegen eine Ausstellung. „Aber wir brauchen das nicht.“ „Was soll das?“ „Für uns ist das nicht wichtig.“ Das sind berechtigte Bedenken und Fragen bei so einer klandestinen Szene. Wir sind dann nochmal in eine neue Konzept-Phase eingestiegen. Dabei haben wir die Kritik aufgenommen und gesagt, wir machen es ganz anders: Wir machen ein Schlaglicht auf 2018, auf das, was die Szene jetzt ist. Und dann kann mitmachen, wer Lust hat; kann sich zeigen, wer möchte. Und alle, die nicht wollen, müssen nicht vorkommen. Das war die eine Seite des neuen Konzepts. Die andere Seite war, dass wir ein anonymisiertes Konzept entwickelt haben, in dem es verschiedene Stufen gab, wie viel gezeigt wird. So konnten auch Leute mitmachen, ohne zu viel von sich preiszugeben und wir konnten trotzdem Bild- und Tonmaterial mit ihnen produzieren. Es ist ja sehr schwierig, eine Ausstellung zu machen, in der du Leute nicht zeigst. Es können aber auch Hände gezeigt werden, Füße, Beine, Pos, Genitalien, sonst was, was man will. Wo Personen nicht oder nur für Eingeweihte erkennbar sind. Leute konnten auch andere Namen benutzen und sich selbst Sachen ausdenken, wie sie sich präsentieren wollen. Das ist dann ziemlich gut aufgegangen und auch sehr gut angekommen. Es gab immer noch die Stimmen, die gesagt haben „Warum braucht die FLT*I*-BDSM-Szene eine Ausstellung?“ Das lässt sich auch sagen, es ist auch berechtigt. Ich sehe das aber anders. Ich finde, es ist eine geile Szene und die zu zeigen und das Wissen dieser Szene zu zeigen ist super.

VH
Die Frage stellt sich ja immer bei Communityprojekten: Für wie wichtig erachtet es eine subkulturelle Gruppierung – oder das Kurator*innenteam, einen solchen Wissensschatz für die Gesellschaft zugänglich zu machen ohne auszuverkaufen oder zu schädigen. Wie wäre es gewesen, wäre die Anfrage nicht vom Schwulen Museum, sondern von irgendeinem normativen Hetero-Museum gekommen?

BM
Also ich glaube, das wäre vielleicht nicht gegangen. Wobei auch gesagt werden muss, es gab dem Schwulen Museum gegenüber mega krasse Bedenken. Das hat es auch nicht unbedingt einfacher gemacht. Es kamen Einwürfe wie „Ausgerechnet das Schwule Museum, die haben so eine starke Ausgrenzungsgeschichte“. Viele gerade der älteren Personen, die sich lesbisch identifizieren, haben gesagt „Das Schwule Museum ist nicht für uns da“, „Das interessiert sich nicht für uns“, „Das stellt uns immer falsch dar“ und „Wir wollen mit denen eigentlich nichts zu tun haben“. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass sich das auf das Schwule Museum in 2017 bezog, sondern vielleicht auf das Schwule Museum 10 Jahren früher. Aber solche Sachen bleiben lange drin. Wenn du einmal oder zweimal oder dreimal schlechte Erfahrungen an einem Ort machst, warum solltest du dorthin zurückgehen? Eine Frage war auch, wer garantiert einen achtsamen und konsensualen Umgang mit dem Material, wenn die Ausstellung vorbei ist? Dieser Einwand war auch verständlich. Um hier auch Schutz vor der Institution zu bieten haben wir gesagt, dass Kaj und ich alles machen. Das Schwule Museum kriegt keinen Zugriff auf persönliche Daten und kriegt keinen Zugriff auf Sachen, die für die Ausstellung produziert werden. Alles geht rein, wird aufgebaut und geht wieder raus. Und ich glaube, das war für den Annäherungsprozess gut, weil es erst einmal garantiert hat, es gibt Gatekeeper*innen – uns – die einen gewissen Schutz bieten und dann kann man mal gucken, was passiert. Und das ist gut gelaufen, unser Sicherheitskonzept ist aufgegangen. Dadurch ging auch ein Teil der Vorbehalte weg. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn die Sachen ins Archiv des Museums gekommen wären. Und es wäre auch toll gewesen, wenn die Fotos in die Sammlung aufgenommen worden wären. Aber es war gut, nicht für eine maximale Öffnung zu plädieren, die dann Leuten zu viel wird und die auch wirklich gefährlich ist. Und unser Vorgehen hatte auch positive Effekte, weil wir z.B. die großformatigen Fotos, die wir produziert haben, an die Leute zurückgeben konnten à la: „Hier hast du ein riesengroßes Foto von dir selbst, wie du ganz viel Spaß hast. Mach damit, was du möchtest“.

VH
Habt ihr die Bilder extra für die Ausstellung produziert? Wie war der Prozess?

BM
Wir hatten mit Mika Wißkirchen und Sablime zwei tolle Fotograf*innen, die die Spielbilder und die Portraits gemacht haben. Dadurch sind wirklich wunderbare Bilder entstanden und wir konnten außerdem unsere Vorstellung zu Stil und Design umsetzen und entscheiden, wie das ganze hinterher aussehen soll. Andere Fotos konnten die Leute selbst einreichen. Wir haben aber entschieden, dass wir keine Kunstausstellung machen. Wir wollten nicht Leute featuren, die mit BDSM Kunst machen, auch wenn es sehr geile Kunst gibt. Die ist allerdings schon sichtbar. Es ging uns bei PROUDLY PERVERTED mehr um Kulturgeschichte, um das Normale in der Szene, die Sichtbarmachung dessen, was sonst unsichtbar bleibt.

VH
Du warst mit Vorwürfen konfrontiert, dass Du, als ausgewiesene Kuratorin des Projekts von der Arbeit der ganzen Szene profitieren würdest. Wie hast Du das erlebt und empfunden?

BM
Es hat sich immer relativ schnell wieder gelegt. Ich glaube, es gab die Sorge, weil ich ja auch beruflich Kuratorin bin, dass ich mich profiliere und Gewinn mit dieser Ausstellung mache und die Szene ausbeute. Dass ich das Wissen aus der Szene nehme und dass ich die Einzige bin, die dann davon profitiert. Ich würde darauf antworten, dass es nicht so ein großer Bonus in unserer Gesellschaft ist, pervers zu sein und dass nicht unbedingt klar ist, dass die Ausstellung ein Vorteil für mich ist. Denn jetzt bin ich die Person, die diese perverse Ausstellung gemacht hat. Ob das alle meine potentiellen Arbeitgeber*innen so gut finden, weiß ich nicht. Und ich habe das alles ehrenamtlich gemacht. Ich muss auch sagen, dass ich zwar von einzelnen kritischen Stimmen gehört habe, aber die Kritik nie direkt an mich persönlich herangetragen wurde. Jemand von außen hätte diese Ausstellung nicht kuratieren können. Ich habe auch zwei Jahre davor schon viel in und für die Szene gemacht und parallel zur Ausstellung auch.

VH
Zurückblickend auf den kuratorischen Prozess, würdest Du sagen, dass Eure Ausstellung eine Art Best Practice-Beispiel dafür war, wie communityzentriertes Kuratieren laufen könnte?

BM
Also ich fand es ziemlich super! Natürlich liegt es schon an den Personen, die es machen, deswegen finde ich das schwer zu beantworten. Ich habe jedenfalls noch nie eine Ausstellung gemacht, wo die Leute, die in der Ausstellung gezeigt wurden, am Ende so happy waren. Wir hatten eine interne Eröffnung für die Beteiligten. Und ich habe so begeistertes Feedback bekommen, bei dem alle das Projekt toll fanden, sich voll schön fanden, sich hot fanden. Leute haben mir gesagt, sie haben die Sachen, die sie für die Ausstellung geschrieben haben – denn alle haben ja ihre eigenen Texte geschrieben – auch fürs Dating danach benutzt haben, oder sie haben erzählt, dass es sie total angeregt hat, darüber nachzudenken, warum BDSM wichtig für sie ist und was die Szene für sie bedeutet.

Und ich hatte das Gefühl, es war so ein Moment, wo du dich selber feiern kannst, wo du dich selbst zeigen kannst und wo du wirklich Kontrolle hast. Ich glaube, das ist das Zentrale, dass du Kontrolle behältst über deine eigene Geschichte und sie nicht abgeben musst. 

In den meisten Museumsprojekten, die partizipativ angelegt sind, ist es doch in Wirklichkeit top down. Da sitzt eine Person, denkt sich etwas aus und erzählt es dann. Und dabei darf mitgemacht, etwas Eigenes dazu beigetragen werden – das ist ja auch Partizipation. Dass wirklich alles von den Leuten selbst ausgeht, ist schwierig zu erreichen. Natürlich haben wir für die Kuration und die Szenographie auch einige Sachen bestimmt. Die generelle Struktur und das Narrativ der Ausstellung, oder die Länge von Texten oder die Formate und Größen der Fotos und so weiter. Das ist meine und Kajs Arbeit. Natürlich trägt das unsere Handschrift. Aber die Kontrolle über die jeweiligen Inhalte hatten die Menschen selbst, die sich gezeigt haben. Und das hat einfach total gut funktioniert und die Ausstellung ist gut angekommen. Natürlich gab es auch kritische Stimmen, z.B. dass wir manche Sachen nicht problematisiert haben oder die falschen Leute gezeigt hätten oder sowas. Aber ich habe zu jeder einzelnen Kritik eine Position. Und es waren auch am Ende nicht viele Punkte – über die es sich natürlich auseinandersetzen lässt.

VH
Die Ausstellung war ein großer Erfolg, sie war super gut besucht und es gab sehr viel Interesse.

BM
Ja, auch von den Nicht-Perversen ist die Ausstellung total gut aufgenommen worden. Es war nicht voyeuristisch, das finde ich wichtig. Dass es nicht exotisiert oder pathologisiert. Wir hatten ein Team von Leuten, die Sachen gegengelesen haben, wir hatten Kontrollprozesse eingebaut, damit wir „Klopper“ vermeiden, die einfach auf eigenen Unwissenheit basieren. Das war uns wichtig. Jede*r macht Fehler, da kannst du aus der Community kommen oder nicht.

VH
Wie sahen die Schritte konkret aus, wann habt Ihr Euch entschieden, noch etwas noch mal in der Community zu besprechen, wann nicht?

BM
Es gab ganz verschiedene Ideen, wann und wie Input oder Feedback gegeben wird. Ein Vorschlag war z.B., die Ausstellung nicht im Schwulen Museum stattfinden zu lassen und sich stattdessen zwei oder drei Jahre Zeit zu nehmen, diese Ausstellung zu machen. Das habe ich abgelehnt. Meine Arbeitsabläufe sind anders und ich wollte das sofort machen, da wir zu dem Zeitpunkt das Angebot hatten, die Arbeit auch zeigen zu können. Ich weiß auch, wie solche Projekte versanden können, wenn du dich auf so etwas einlässt. Wir haben uns dann entschieden, beide Konzeptentwürfe vorzustellen und zu diskutieren. Den ersten Entwurf haben wir mit verschiedensten Gruppen und auf unterschiedlichen Stammtischen diskutiert. Aber, wie kann eine Szene abstimmen? Das ist ja kein festes Gremium. Insofern ist eine Diskussion darüber, was geht und was nicht ohnehin ein schwammiges Ding, auf das du dich irgendwie einlassen musst. Trotzdem war beim ersten Konzept schnell klar, dass es viele problematisch fanden – und damit war es für uns raus. Das zweite Konzept haben wir dann auf einer größeren Veranstaltung vorgestellt und online diskutiert. Das heißt, da gab es vier Tage lang einen Raum, um zu diskutieren und Ideen zu sammeln, wie es gemacht wird. Und als dann darauf, bis auf zwei oder drei Einzelstimmen, kein Gegenwind, aber viel positive Rückmeldung kam, haben wir gedacht, okay, jetzt ist es gut, jetzt ist es abgenommen. Nach diesen vier Tagen hatten wir 100 Leute, die ihre Teilnahme zugesagt hatten, was ja für so ein Community-Projekt total viel ist. Das ist besser gelaufen als wir gedacht haben, und wie sollst du es anders machen? Nach diesen vier Tagen hatten wir auch die Hälfte des Materials schon zusammen. Und dann waren wir – Kaj und ich – so autoritär, sage ich jetzt mal, dass wir gesagt haben, wir sind auch ein Teil dieses Prozesses. Wir haben eine Vision, was wir zeigen wollen, wir haben eine Idee, was wir erzählen wollen, wir haben 100 Leute, die dabei sind und das machen wir dann jetzt auch. Ich wollte auch meine Stimme haben. Die Zusammenarbeit mit der Szene, mehrere Korrekturschleifen durch Leute aus der Szene und die enge Abstimmung mit jederm Einzelnen, derdie gezeigt wurde, war ja Teil des Konzeptes. Dadurch gab es die Balance zwischen Kuratieren und Community, die die Ausstellung zu dem gemacht hat, was sie letztendlich war.

VH

Ich würde gerne noch mal über die Zugänglichkeit des SMU sprechen. Wer macht wie mit und wer kann die eigenen Vorstellungen dort umsetzen…

BM
In meinem Fall war es so, dass ihr aktiv jemanden für eine Ausstellung zur FLTI-BDSM Szene gesucht habt und mich von euch aus angefragt habt, weil ich mit dem Thema schon beschäftigt war. Das hat einfach gut gepasst.

VH
Ja, dann hätten wir weiter rumgefragt oder vielleicht über einen Open Call nachgedacht – wobei, bei dem geringen Budget, das wir für eure Ausstellung hatten, hätten wir es wahrscheinlich einfach gelassen und uns ein paar Veranstaltungen ausgedacht oder so.

BM
So ein Open Call muss ja erstmal irgendwie bei dir landen. Du musst dich angesprochen fühlen, in deiner Sprache, deiner Art zu denken und auch eine Affinität zum Haus haben. Ich weiß nicht, ob ich darauf reagiert hätte.

VH
Ja, genau. Das SMU war sehr stark basierend auf den vorhandenen Netzwerken. Eines meiner Hauptbetätigungsfelder während meiner Vorstandstätigkeit war es, neue oder verprellte Communitites zu erreichen und einzuladen. Wichtig für den Öffnungsprozess war es, dass das Haus seine Politiken aktualisiert und attraktiver wird. Wir haben daran gearbeitet, dass intern bestimmte Prozesse dafür durchlaufen werden. Die Frage ist und bleibt, wie das mit den vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen gelingt, mit dem Mix aus verschiedenen Anstellungs- und Ehrenamtsverhältnissen, Hierarchien, Subjektpositionierungen und Generationen.

BM
Es ist wichtig, Multiplikator*innen vor Ort zu haben, die Beziehungen in andere Richtungen nutzen können. Für Menschen, die bisher nicht mitgedacht sind oder keine Verbindung zum Haus haben ist es nicht automatisch attraktiv, sich im SMU zu engagieren. Das hat verschiedene Gründe: Es gibt kein oder zu wenig Geld für die Arbeit. Es ist potentiell gefährlich, da man zum Beispiel diskriminiert, angegriffen oder abgewertet wird. Man gerät vielleicht auch in Auseinandersetzungsprozesse, die viel Energie kosten. Leute sagen tendenziell nicht: Lass uns unbedingt an Orten, wo wir bisher noch nicht so willkommen sind, jetzt total die Action machen. Du bleibst lieber dort, wo du dich auskennst.

Für mich war es gewissermaßen ein Glück, dass ich mich vorher noch nicht mit dem SMU auseinandergesetzt hatte. So hatte ich persönlich weder gute noch schlechte Erfahrungen mit dem SMU. Ich hatte dadurch keine Berührungsängste. Dass ich dann direkt mit dir und Birgit zu tun hatte war auch gut für mich, bei euch habe ich mich willkommen gefühlt. Wir haben super gute Erfahrungen mit dem Team, mit den Ehrenamtlichen, mit allen gemacht. Vielleicht auch, weil wir so sexpositiv waren, dass viele das Projekt einfach ganz geil fanden und davor Respekt hatten.

VH
Viele waren neugierig auf BDSM, sowohl das SMU-Team als auch das Publikum und die Medien. Außerdem habt ihr einfach eine große, sehr bewusste Community mitgebracht, die hinter euch steht und die sich auch nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Das war in der Tat Respekt einflößend.

BM

Das stimmt. Wir haben in der Zusammenarbeit mit dem SMU viele gute Begegnungen und viel positives Feedback aus dem SMU bekommen. Ich glaube aber auch, dass es die Leute, die mitgemacht haben, offener für das Schwule Museum gemacht hat. Es gab ja viele, die – ähnlich wie ich - zwar wussten, dass es das Schwule Museum gibt, aber gedacht haben, da läuft eigentlich nichts das uns unmittelbar anspricht. Das hatte sich schon vor der Ausstellung ein bisschen geändert, aber jetzt ist das total anders. Wenn du einmal abgespeichert hast, da werden nur schwule weiße alte Männer gezeigt, dann bleibt das Bild vielleicht länger als es wirklich real ist. Selbst, wenn du dann bewusst eine größere Zielgruppe ansprechen willst, ist die Frage, wie die das mitbekommt.

VH

Wie ging Dein Prozess im Schwulen Museum weiter? Wie hast Du Dich entschieden, zu bleiben und Dich sogar zur Vorstandswahl aufzustellen? Im Vorgespräch sagtest Du: „Dank euch bin ich jetzt da!“

BM

Ja, es gab da was, was mich angesprochen hat. Mich und eine bestimmte Szene. Wenn ich es irgendwo nett finde, Freiheiten habe und Sachen machen kann, die für mich wichtig sind, dann gefällt mir das. Die Zusammenarbeit war gut und hat mir einfach Spaß gemacht. Ich hatte nicht sofort die dringende Absicht, mich weiter zu engagieren, aber Birgit klopfte immer mal wieder bei mir an. Die nächsten zwei Jahre habe ich mir erst einmal das sonstige Programm angeguckt und war einfach nur als Besucherin da. Natürlich kannte ich auch Leute im Haus und Leute haben mit mir geredet und wussten, wer ich bin, ich wusste, wer die sind. Du gehst ja nicht irgendwo hin wo du niemanden kennst und sagst: „Ich werde jetzt ehrenamtlich aktiv für euch“. Aber in meinem Fall hatte ich positive Erfahrungen gemacht, dann wieder etwas Abstand, gute Gespräche und persönliche Beziehungen. Und dadurch ist es attraktiv geworden, mich mehr zu engagieren.

VH
Ein Öffnungsprozess ist eine komplexe und auch delikate Angelegenheit. Die Politik, die Kultur, die Strukturen, die Ästhetik, die Wertschätzungskultur, alles verändert sich. Alle Prozesse, im Vorder- und im Hintergrund sind davon betroffen. Das war sozusagen Schwerstarbeit mit viel Backlash. Wie hast Du das wahrgenommen?

BM
Ich denke, solche Veränderungsprozesse sind immer hart. Die sind überall hart. Wenn du dich öffnest, dann bedeutet das erst mal Stress. Das lässt sich nicht vermeiden. Vorher waren die Leute, die eine andere Meinung haben, einfach nicht da. Und dann gibt es auf einmal Konflikte, mit denen man sich vorher nicht beschäftigen musste. Natürlich gibt es dann Leute, die wollen, dass einfach alles wieder so ist wie früher, teilweise ohne überhaupt genau benennen zu können, was das heißen soll.

Ohne dass ich irgendwie groß was gelesen habe oder inhaltliche Sachen dazu gehört hatte, habe ich aber gesehen, mit was für einer Härte gegen die Öffnung vorgegangen wurde. Einfach dadurch, dass man erlebt hat, wie fertig alle waren. Von Birgit und dir habe ich es am lebhaftesten mitgekriegt, wie hart ihr getroffen worden seid. Ich habe euch am Anfang als offen, enthusiastisch, und begeistert erlebt. Ein Jahr später wart ihr total runtergerockt. Sehr, sehr mitgenommen. 

Die Vorstandswahl in 2018 war ein Moment, den ich mitbekommen habe. Bei den schwulen Gegenkandidaten hat man schon gemerkt, dass es ihnen eigentlich nicht um eine inhaltliche Mitarbeit ging, sondern eher darum, zu zeigen, dass es ihnen nicht gefiel, was gerade passierte. Aber es gab ihrerseits wenig Ideen, wie sich das Haus in der Zukunft strategisch oder konzeptionell ausrichten könnte. Jenseits davon, dass ich gut fand, welche Arbeit ihr gemacht habt, wäre das für mich keine wählbare Position gewesen. Mein Erfahrung ist, dass an solchen Haltungen oft ganze Projekte kaputt gehen. Ich fand auch, es war eine Gefahr für das gesamte Haus und für die Öffnung.

Und mittlerweile, wo ich mehr involviert bin, merke ich natürlich auch, dass es nicht einfach ist und ich mache nicht nur gute Erfahrungen und muss Grenzen setzen.

Ich habe das Gefühl, es hat in 2018 total geknallt. Dann haben alle sich ein bisschen berappelt, viele sind gegangen, neue sind gekommen. Die Neuen, die gekommen sind, sind auch wegen der Öffnung gekommen. Also für die ist das Haus nun attraktiv und die tragen das jetzt. Es ist halt gemein den Leuten gegenüber, die es durchgekämpft haben. Also konkret dir.

VH
Ja, es war alles sehr heftig. Umso mehr freue ich mich, dass Du und viele andere FLINTA* sich jetzt im SMU weitestgehend wohlfühlen. Leider konnten wir den Raum nicht signifikant sicherer machen für nicht-weiße Personen. Wo würdest du ansetzen oder weitermachen, wenn Du Dich weiter engagierst?

BM
Ich glaube, es war total schwierig.  Ich denke, es wäre gut, eure Erfahrungen nochmal auszuwerten. Also sich wirklich zu fragen, was hat geholfen? Welche Art der Unterstützung hat geholfen? An welcher Stelle mussten dann die Leute, die reingekommen sind, wieder gehen? Die Falle ist ja immer, es gibt eine Öffnung, du kommst in irgendetwas rein. Leute besetzen Machtpositionen neu und halten die dann auch und dann geht die Öffnung nicht weiter. Dann hast du Frauen reingeholt und das wars. Und alle Frauen sind halt weiß. Und machen den Bündnispakt mit den weißen Männern, weil das am wenigsten gefährlich ist. Ich weiß es auch nicht, wie man das gut machen kann. Es sollte schon explizit gemacht werden, Strukturen offener zu gestalten oder sich wirklich durchgängig mit Rassismus zu beschäftigen und einen Teil der Arbeit, der bei euch so vehement geführt worden ist, strategisch zu führen.  Ich habe das Gefühl, da müsste ich auch nochmal viel genauer hören. Was ist passiert? Was sind konkrete Gründe? Man muss es spezifisch benennen, wenn du an der Stelle etwas ändern willst. Wie können die vorhandenen Strukturen transparenter und dann auch zugänglicher gemacht werden. Das hat auch etwas mit Öffnung zu tun, aber ich habe das Gefühl, ich bin immer noch dabei, nachzuvollziehen, was da läuft. Wenn ich das verstanden habe kann ich dir vielleicht eine bessere Antwort geben. Vielleicht habe ich es aber auch in 4 Jahren immer noch nicht kapiert. Ich habe keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage, glaube ich. 

VH
Wie siehst Du die Zukunft des SMU? Was würdest Du gern bewegen?

BM
Ich finde es wichtig, sich zu fragen: Was  wollen wir? Was machen wir 2022? Was machen wir 23? Was machen wir 24? Dann werden bestimmte Pläne aufgestellt und darauf hingearbeitet. So, wie ihr es ja auch schon gemacht habt. Ich würde gerne den Öffnungsprozess, der angefangen wurde, weiterführen. In einem solchen Prozess verändert sich ja konkret etwas, es ist nicht nur ein „Wir werden offen und divers und wir machen alles genauso wie vorher“. Das wäre ja keine Veränderung. Ich glaube, bevor  eine*r nicht wirklich in dem Prozess angekommen ist, lässt sich das Ausmaß nicht verstehen. Auch alle anderen Häuser, die sich jetzt diversifizieren, haben solche Auseinandersetzungen, z.B. in Bezug auf ausschließlich weiße Repräsentation. Das ist schon ein wichtiges Thema für das Schwule Museum. Ich frage mich, wie sich das verstetigen lässt, sodass es nicht mehr zurückgerollt werden kann. Transparenz ist ein Punkt, der mir wichtig ist. Und ich wünsche mir, dass sich die Arbeitsatmosphäre weiter verbessert.

Ich glaube, ich habe eigentlich total Lust auf diese Idee, ein Community-Museum zu haben, das wirklich radikal basisdemokratisch ist und gleichzeitig supergeile Arbeit macht. Ich habe Lust, einen Ort mitzugestalten, an dem wirklich was passiert, wo künstlerische, inhaltliche, und auch sonstige Debatten geprägt werden. Ein Ort, wo neue Sachen entstehen und Leute ein Zuhause haben. Ich will auch selber an diesem Ort, dem SMU ein Zuhause haben, das motiviert mich. Diese Kombi von professionell hochkarätig arbeiten und trotzdem diese radikaldemokratischen Strukturen nicht zu verlieren. Ja, das ist schon eine Herausforderung, aber ein schöne. 

VH
Vielen Dank, Birga! Ich bin gespannt, was Du und Ihr in den nächsten Jahren gestalten werdet!

 

 

Vera Hofmann schied im Dezember 2020 auf eigenen Wunsch nach 2 Amtszeiten aus dem Vorstand aus. Coronabedingt verschob sich die Vorstandswahl von September 2020 auf Dezember 2021. Birga Meyer wurde am 4.12.2021 in den neuen Vorstand des Schwulen Museums gewählt.

 

Das Interview wurde am 13. Mai 2021 geführt.

Bearbeitung: Vera Hofmann und Joris Kern

Lektorat: Johanna Gehring

Download des Beitrag