Jahr der Frau_en (001)

20.12.2017

Die New Yorker Guerrilla Girls skandalisieren es seit mehr als 30 Jahren, dass Frauen* nackt sein müssen, um ins Museum zu kommen! Sie haben immer noch recht: Im Dezember 2017 erschien die bisher größte empirische Studie über geschlechtliche Diskriminierung in der europäischen und US-amerikanischen Kunstwelt. Die Datenbasis: 2,7 Millionen Transaktionen aus der Zeit 2000 – 2017 von mehr als 1.000 Galerien mit mehr als 100.000 Künstler*innen. Nur 5% der erfassten Verkäufe beziehen sich auf Werke von Künstler*innen, der Wert der verkauften Werke der beiden höchstdotierten Künstler Pablo Picasso und Andy Warhol übersteigt den aller erfassten Verkäufe von Künstler*innen zusammen und in der Top-Liga der internationalen Kunst findet sich keine einzige Frau*. Und das obwohl die Quote der weiblichen* Studierenden an den Kunst­akademien seit 1983 konstant etwa 50 Prozent beträgt. Seit Linda Nochlins berühmtem Aufsatz Why Have There Been No Great Women Artists? von 1971 habe sich wenig verändert, die Vorstellung des männlichen Genies sei nach wie vor beherrschend, fassen die Autor*innen ihre Ergebnisse zusammen.

Sammler*innen, Galerien und Museen sind natürlich nicht „schuld“ an diesen unschönen Zuständen, spiegeln sie doch mit ihrem Handeln lediglich die geltenden sozialen Normen. Allerdings tragen sie genau damit dazu bei, sie aufrechtzuerhalten. Und ja, wir würden als Ursache dafür Misogynie und Sexismus nennen, in diesem Fall die sogar messbare Entwertung der Perspektiven und Positionen von Frauen*, ihrer Kreativität, ihrer Arbeit, ihrer Reputation.

Um das, wenn schon nicht zu verändern, so doch wenigstens zu adressieren, proklamiert das Schwule Museum mit seinem Programm 2018 das Jahr der Frau_en. Es wird die in einem Museum erwartbaren Formate wie Ausstellungen oder Vorträge geben, kontroverse Debatten und schöne Lesungen, aber auch Überraschendes, wie Heilungsrituale und Aktionen. Nicht nur der Inhalt wird feministisch, sondern auch die Form.

Eröffnet wird das Jahr der Frau_en mit der Filmreihe 12 MONDE, kuratiert von der Künstler*in Vera Hofmann. Die Reihe ist eine ganzjährig angelegte Inter­vention gegen die mangelnde Repräsentation weiblicher* Perspektiven – sowohl in audiovisuellen Medien und musealen Kontexten, als auch in Kultur und Gesellschaft allgemein. Sie entwirft Fragen nach der Darstellung und Konstruk­tion von Weiblichkeit_en und dem Potential eines anderen Blicks. Auf der Suche nach den Klassikern lesbischer und feministischer Filmhistorie, nach zeit­ge­nössisch­en queeren Positionen und den Stimmen von Women* of Color sind alle eingeladen, Vorschläge zu machen, welche Geschichten gesehen und gehört werden sollen. Das Filmprogramm wechselt zu jedem Neumond und läuft im regulären Museumsbetrieb in der dafür geschaffenen Filmlounge.

Mit den ersten Sonnenstrahlen wollen wir uns ab Frühling mit einer Veranstaltungsreihe OUR OWN FEMINISMS – EIN QUEERFEMINISTISCHES ZUKUNFTSLABOR der Kartierung der Feminismen widmen, die uns das Jahr hindurch begleiten wird: Kuratiert von Carina Klugbauer, Vera Hofmann, Chris Izgin und Tjona Sommer will sie die historischen Kämpfe der feministischen und queeren Individuen und Bewegungen nachzeichnen und fragen wo wir heute stehen. Sie richtet sich an feministisch Interessierte, Feminist*innen im Herzen und alle, die Lust haben, miteinander und nicht gegeneinander zu diskutieren. Die Teilnahme setzt keine akademische Vorbildung voraus.

Wenig später werden wir im Sommer mit LESBISCHES SEHEN eine utopisch-melancholische Galerie entwerfen, die dem lesbischen Begehren in künstlerischen Produktionen auf der Spur ist. Wir erforschen, warum kaum „lesbische“ Sujets zu finden sind und was das eigentlich sein könnte. Und wir fragen, ob es nicht eigentlich sowieso irrelevant ist, mit wem eine lebt und wen sie liebt oder ob das Private nicht doch politisch ist und damit auch künstlerisch relevant? In diesem Projekt gehen wir in einem regional und zeitlich begrenzten Feld auf Spurensuche – in der überaus vitalen Künstlerinnen*szene in beiden Berlins von der Nachkriegszeit bis heute. Kuratiert wird die Ausstellung von Birgit Bosold und Carina Klugbauer.

Ab Juli wird im Rahmen der laufenden Ausstellung Tapetenwechsel erstmals die Geschichte des LESBISCHEN AKTIONSZENTRUMS WESTBERLIN gewürdigt. Gezeigt wird die Entstehung dieser ersten offensiven Lesbengruppe der 70Jahre aus der HAW-Frauengruppe, ihre Kämpfe, Aktionen, Publikationen und viele der aus dem LAZ entstandenen Projekte. Begleitend wird von Zeitzeuginnen in Filmen und Diskussionen eine Brücke zur heutigen Realität von Lesben und deren Sichtbarkeit geschlagen. In Zusammenarbeit mit Aktivistinnen und Zeitzeuginnen von HAW/LAZ kuratieren Christiane Härdel, Regina Krause, Monne Kühn – und Wolfgang Theis, eine der Gründungsmütter des Museums.

Im Herbst schließt eine Ausstellung über die FrauenLesbenTrans*Inter* BDSM Szene in Berlin an. Kuratiert von Birga Meyer und Kaj Maiwald, in enger Zusammenarbeit mit Frauen, Lesben, Trans* und Inter* aus der internationalen FLT*I* BDSM Community, werden Aspekte dieser Szene gezeigt, die in geschützten, sex-positiven Räumen über Jahre entstanden sind. Die Ausstellung und ihr Rahmenprogramm will die Besucher*innen nicht nur mit vielleicht unbekannten Formen des Begehrens bekannt machen, sondern auch Wissen und Erfahrungen über dort gelebte Beziehungsformen, Konsens, Care und Community mit dem Publikum teilen.

Die Vorsitzende einer großen Hijra Organisation aus Delhi wandte sich 1984 mit einer Forderung an Indira Gandhi und Konstantin Tschernenko. Anlässlich des ersten Raumflugs eines indischen Kosmonauten als Mitglied einer sowjetischen Mission verlangten die vereinigten Hijras: „[to] give parity to the sexually under-privileged and socially neglected persons of the ‚Third Sex‘ by sending at least one of this group in to space in future ventures.“ (Hindustan Times, 04/10/1984). Dieser Bitte wurde nicht entsprochen, die Künstlerin und Medienwissenschaftlerin Claudia Reiche wird ihrem Projekt HIJRA FANSTASTIC ebenfalls im Herbst der Frage nachgehen, wie sich eine solche Aussendung hätte gestaltet haben könnte.

Den Übergang zum Winter schafft das queerfeministische Kollektiv Coven Berlin mit seiner Ausstellung EXTRA+TERRESTRIAL. Sie wird zeigen, wie sich queere urbane Communities heute das alte Wissen weiser Frauen* und Hexen über Rituale und Magie zurückerobern und es mit neuen, internetbasierten Technologien verbinden, um wirksame Werkzeuge des Widerstands gegen das heteropatriarchale kapitalistische System zu schaffen.

Wolfgang Theis wird noch einmal in Tapetenwechsel mit einer Hommage an die Kulturaktivistin MAHIDE LEIN eines der Urgesteine der aktivistischen Berliner Frauen- und Lesbenbewegung ehren. Sie setzt sich seit Jahrzehnten für Sexpositivismus, Generationendiversität, Multikulturalität und Menschenrechte ein.

Was noch? Wir werden unser Café in diesem Jahr zu einer DYKE BAR umbauen, als Liebeserklärung an diese Orte, die im Verschwinden begriffen sind und einen kleinen Ausstellungsraum als OPEN PROJECT SPACE bereit stellen, um ihn multifunktional und kurzfristig bespielen zu können. Er kann als Meetingraum, Lesezimmer, für kleine Ausstellungen, zum Co-Working und Diskutieren genutzt werden. Er soll ein symbolischer und realer Raum sein, um sich und anderen mit Offenheit zu begegnen.

Wir begreifen unser Jahresprogramm als ein Experimentierfeld für Veränderung mit dem Ziel, eine zukunftsweisende, partizipative (Museums-)Praxis zu entwickeln. Das Schwule Museum ist als Museum „von unten“ ein maßgeblich von Aktivist*innen geleitetes und organisiertes Haus, das schon immer in enger Kommunikation mit seinen Besucher*innen und den von ihm repräsentierten Communities steht. Wir möchten diese Tradition in diesem Jahr noch transparenter gestalten, um gemeinsam nachhaltige Konzepte für ein (queer-)feministisches Miteinander zu entwickeln und langfristig in unserer Museumspraxis zu verankern.